Andreas Netzel: „Die Präsenz von Talgo in Deutschland hat es uns ermöglicht, neue Projekte zu erhalten“

Andreas Netzel, seit letztem Jahr Mitglied des Vorstands, hat seit 1988 eine enge Beziehung zu Spanien, als er mit seiner Familie zum ersten Mal nach Andalusien reiste. Dort, in Granada, sah er seinen ersten Talgo-Zug. Heute ist er bei der Talgo (Deutschland) GmbH für den Vertrieb und die Geschäftsentwicklung zuständig und als Teil des spanischen Bahnriesen mit Sitz in Las Rozas, Madrid, sind die Verbindungen zu Spanien noch stärker. Im folgenden Interview beschreibt Andreas Netzel die Aktivitäten von Talgo in Deutschland und die Projekte, die dank der Präsenz im Ausland in letzter Zeit entstanden sind.

 

(F) Wie lange sind Sie schon Mitglied des Vorstands und wie verlief der Prozess des Beitritts zur Kammer?

(A) Ich wurde im Sommer 2024 als neues Mitglied des Vorstands gewählt und ernannt. Der Beitritt zum Vorstand war positiv, da ich mich vom ersten Moment an willkommen fühlte. Hinzu kommt die Tatsache, dass ich als langjähriges Mitglied bereits einige Leute in der Kammer kannte.

(F) Warum haben Sie sich damals entschlossen, der Handelskammer beizutreten?

(A) Als ich im Jahr 2000 zu Talgo kam, war das Unternehmen bereits Mitglied der Kammer. Als Mitglied ist der direkte Kontakt zu den anderen Mitgliedern ein wichtiger Punkt, um Erfahrungen oder Probleme auszutauschen, die andere vielleicht schon durchgemacht haben. Nicht zu vergessen ist auch die Unterstützung beim Zugang zu offiziellen spanischen Institutionen in Deutschland.

(F) Als Leiter des Vertriebs und der Geschäftsentwicklung von Talgo Deutschland, was können Sie uns über die Aktivitäten von Talgo in Deutschland erzählen?

(A) Die Hauptaufgabe von Talgo in Deutschland ist die Instandhaltung von Zügen. Wir begannen unsere Tätigkeit in diesem Land 1994 und sind im Laufe der Jahre gewachsen, so dass wir heute etwa 120 Mitarbeiter hier beschäftigen. Wir haben eine Werkstatt in Berlin, in der wir Instandhaltungsarbeiten durchführen. Unsere Kunden sind vielfältig, der Hauptkunde ist die Deutsche Bahn mit ihren verschiedenen Niederlassungen (DB Fernverkehr AG, DB Regio AG und DB InfraGO AG), aber wir arbeiten auch für andere Unternehmen wie RDC Deutschland (Hotelzug Berlin-Stockholm), Leo Mobility usw…

(F) Was sind die zukünftigen Projekte des Unternehmens in Deutschland?

(A) Dank der Präsenz von Talgo in Deutschland konnten wir neue Projekte starten und uns 2017 auf eine öffentliche europäische Ausschreibung der DB Fernverkehr AG für die Lieferung von Zügen bewerben. Mit Unterstützung der Talgo (Deutschland) GmbH wurde ein Rahmenvertrag über bis zu 100 ICE-Züge ausgehandelt, von denen bis heute bereits 79 Einheiten bestellt wurden. Dies ist ein außerordentlicher Meilenstein für die Talgo-Gruppe, da sie mit der Lieferung von Zügen in großem Umfang in einem so emblematischen Segment wie dem ICE (Hochgeschwindigkeitszug) in Deutschland Fuß gefasst hat.

Talgo wird diese Flotte langfristig betreuen und damit eine zukünftige Präsenz in Deutschland sicherstellen. Dank der Erteilung des oben genannten Auftrags konnte Talgo 16 Züge desselben Typs nach Dänemark verkaufen und hat kürzlich einen Vertrag mit dem deutschen Unternehmen FlixTrain über die Lieferung und Instandhaltung von bis zu 65 Zügen unterzeichnet. Der letztgenannte Vertrag beinhaltet einen langfristigen Full-Service-Wartungsvertrag. Dieses Szenario sichert uns eine positive Zukunft auf dem deutschen Markt, auf dem wir seit mehr als 30 Jahren kontinuierlich tätig sind.

(F) Vor welchen Herausforderungen steht der deutsche Eisenbahn- und Verkehrssektor?

(A) Wir alle, Reisende wie Industrie, leiden unter einem anstrengenden Betriebsnetz, das nicht rechtzeitig ausgebaut und modernisiert wurde. Damit meine ich, dass ein einziges Ereignis eine Vielzahl von Zügen und Verbindungen zwischen Zügen betrifft. Diese dichte Verflechtung der Strecken und die Überbeanspruchung des Netzes führen zu Nachteilen.

Diese Situation lässt sich ändern, aber es braucht Zeit und Geld, um Verbesserungen am Netz vorzunehmen. In Spanien verhindert das radiale Hochgeschwindigkeitsbahnsystem, dass ein und dasselbe Ereignis mehrere Strecken betrifft. Außerdem ist das Netz sehr modern und trennt Güterzüge von Hochgeschwindigkeitszügen für den Personenverkehr. In Deutschland könnte man sagen, dass es sich um ein historisches Netz mit einigen Hochgeschwindigkeitsabschnitten handelt, in dem Züge für unterschiedliche Zwecke miteinander verkehren.

(F) Wie war Ihr erster Kontakt mit Spanien, und wie ist Ihre Beziehung zu diesem Land?

(A) Meine Beziehung zu Spanien begann im Jahr 1988, als ich mit meinen Eltern nach Andalusien reiste. In Granada habe ich meinen ersten Talgo-Zug gesehen. Dieses Erlebnis motivierte mich unter anderem dazu, Spanisch zu studieren, was ich an der Volkshochschule tat. In den Jahren 1993 und 1994 absolvierte ich ein Erasmus-Programm an der Escuela Técnica Superior de Ingenieros Industriales (ETSII) der UPM Madrid, das mir half, meine Sprach- und Kulturkenntnisse zu vertiefen. Seitdem bin ich viel nach Spanien gereist, und der Kontakt mit dem Land hat sich im Rahmen von Talgo und der ständigen Kommunikation zwischen den Kollegen der Talgo-Gruppe intensiviert. Es ist ein Land, in dem ich mich sehr zu Hause fühle.

(F) Sind Sie Mitglied in anderen Organisationen des deutsch-spanischen Netzwerks?

(A) Leider nicht. Außerdem vertrete ich die Talgo (Deutschland) GmbH in verschiedenen Organisationen der Bahnindustrie wie dem Verband der Bahnindustrie in Deutschland (VDB) und dem Deutschen Verkehrsforum (DVF).

Haben Sie im Laufe der Jahre kulturelle Unterschiede im Geschäftsleben festgestellt?

(A) Manchmal gibt es spanische Unternehmen, die, wenn sie nach Deutschland kommen, ihre Handlungs- und Geschäftsweise auf Spanien übertragen, und das kann nicht funktionieren, weil es Unterschiede gibt, so klein sie auch sein mögen, die auffällig sind. So beträgt beispielsweise die übliche Zahlungsfrist für Rechnungen in Deutschland 30 Tage. Eine Stärke der spanischen Industrie ist die Fähigkeit, bei Rückschlägen Lösungen anzubieten und verschiedene Szenarien flexibel zu meistern.

Meiner Meinung nach sind zwei unterschiedliche Sichtweisen zu beobachten: In Spanien besteht die Tendenz, mit den verfügbaren Mitteln das Beste zu suchen, während in Deutschland zuerst der technische Inhalt definiert wird und dann das Budget berücksichtigt wird. Andererseits ist es sinnvoll, die Sprache zu beherrschen, um besser in die Kultur des jeweiligen Landes eintauchen zu können und den „Kulturschock“ abzubauen.

(F) Welchen Unterschied macht die Kammer schließlich für ein spanisches Unternehmen, das in Deutschland tätig ist?

(A) Einer der stärksten Punkte ist das umfangreiche Netzwerk an Kontakten, das man durch die Kammer erhält. In diesem Sinne schätze ich die Veranstaltungen, bei denen ich neue Leute kennenlernen kann, um mehr über ihre Tätigkeit zu erfahren und verschiedene Visionen zu teilen. Andererseits geben mir die Empfehlungen der Kammer mehr Sicherheit und Vertrauen. Schließlich fungiert die Kammer, wie ich bereits erwähnt habe, als Vertreter und Vermittler gegenüber anderen offiziellen spanischen Institutionen.